„Toskana“ – Erinnerung an eine Reise in die Toskana.
2 Aquarelle von Hugo Heikenwaelder
Als ich am Mittwoch, dem 1.September 1993, mein malerisches Tagewerk gegen 16 Uhr beendete, wußte ich nicht, dass dieser azurblaue Spätsommertag in einer Katastrophe enden sollte. Eine Katastrophe, an der ich selbst die alleinge Schuld trug.
Mein Leben schien im Herbst 93 aus meiner persönlichen egomanischen Sicht perfekt zu sein : Ich war 44 Jahre alt, ein erfolgreicher Maler im Herzen der Kunst-Weltstadt Wien, ein Dutzend Kunden kaufte absolut alles, was ich produzierte, zum Teil sogar Werke, die noch gar nicht durchgetrocknet und gefirnißt waren. Ich hatte eine kurvenreiche 30-jährige Rothaarige mit 1000 Sommersprossen als Hauptfrau an meiner Seite, und eine 24-jährige Studentin als Zweit-Frau, die mich und meine Werke managte. Für mich war alles normal.
Porzellan-Malerin bei Augarten
Große Datei ! – Kann ein paar Sekunden dauern, bis das Bild lädt !
Die Lady mit den roten Haaren war nicht nur optisch eine echte „Granate“, sie war auch außerordentlich begabt was Literatur und Malerei betraf, blitzgescheit und von einem tiefen und abgründigen schwarzen Humor beseelt, der all ihren klugen und originellen Kommentaren einen anarchischen Charakter verlieh, der einen alten Bohémien wie mich entzückte. Unser beider Sprachgewalt war eine zusätzliche starke Verbindung, die wir täglich zelebrierten, und auch unsere Katzenliebe zu unserem roten Kater SCHNURRO verband unsere lebenshungrigen und leidenschaftlichen Seelen.
Große Datei ! – Kann ein paar Sekunden dauern, bis das Bild lädt !
Was meine andere Geliebte, die studentische Managerin betraf, so hatte sie eine gefühlte Dauer-Körper-Temparatur von 37,7°, was mich erregte, wenn sie auch nur zufällig an mir vorbeiging. Letztere wußte natürlich von meiner Rothaarigen, mit der sie damals befreundet war, aber diese wiederum wußte nicht, dass ich seit über 2 Jahren mit derselben nicht nur den Tisch, sondern auch immer öfter das Bett teilte.
Uns so kam es, wie es kommen mußte : Ich hatte im Geheimen von meiner Studentin einen unscheinbaren Akt-Torso gemalt, den ich natürlich vor meiner Rothaarigen verbarg, um nicht unnötig „die Hunde aufzuwecken“. Diese fand jedoch an diesem ominösen 1. September das kleine Gemälde in meinem Atelier, und erkannte sofort, dank ihres unbestechlichen und genauen Auges, dass es sich nur um ihre Freundin, unsere Managerin handeln konnte.
Große Datei ! – Kann ein paar Sekunden dauern, bis das Bild lädt !
Als ich um 18 Uhr aus dem nahen Café nach Hause kam, stand emotional alles in Flammen. Meine rothaarige Hauptfrau hatte ihre Freundin gerade aus meiner Wohnung geworfen und war gerade dabei ihre Koffer zu packen, um mich für immer zu verlassen, – was sie auch tat. Es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.
Da stand ich nun, von einer Sekunde auf die andere, verlassen von beiden Frauen, die ich beide liebte, verehrte, vergötterte. Ich fiel in ein derart tiefes seelisches Loch, dass ich noch in der Nacht beschloss, mir am nächsten Tag das Leben zu nehmen.
Von einem Moment auf den anderen hatte sich mein vibrierendes Dasein in völlige Asche verwandelt, ein Abgrund des Grauens tat sich auf, und der durch die Trennungen hervorgerufene Schmerz war so groß, sodass mir nur noch der Tod als einzige Lösung etwas Linderung versprach. Ich war fest entschlossen, meinem Leben ein Ende zu bereiten.
Was sollte noch groß kommen ? Ich hatte bereits alles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Ich hatte über 100 Gemälde geschaffen, stand mit 35 Jahren schon im Lexikon der Malerei (des 20.Jahrhunderts), war von der Damenwelt hofiert und getragen worden, auf den diversen Kunstmessen und Ausstellungen hatte ich das Rampenlicht genießen können, und was mich erwartete waren höchstens nur mehr Wiederholungen von Wiederholungen. Also Schluß damit, lieber ein Ende mit Schrecken, als die Banalität des immer wiederkehrenden Gleichen.
Große Datei ! – Kann ein paar Sekunden dauern, bis das Bild lädt !
Aber da ich in manchen Augenblicken zur Sentimentalität neige, entschloß ich mich, unter tränenreicher Selbst-Beweinung, mich noch von einigen meiner wenigen, wichtigen Freunde persönlich zu verabschieden. Per Telefon. Als ich meinen Psychiater- und Neurologenfreund Rainer anrief, der im AKH-Wien eine eigene Station als Primarius innehatte, erkannte dieser sofort die Gefahr des Augenblicks, befahl mir, auf der Stelle ein Taxi zu nehmen, und zu ihm in die Klinik zu kommen, – er hätte ein Bett für mich, er würde mich therapieren, und wenn es nichts hülfe, könnte ich mich ja danach immer noch umbringen.
Nun gut, ich tat wie mir geheißen, fuhr zu Rainer ins AKH, erzählte ihm mein seelisches Desaster, und es gelang ihm innerhalb einer Stunde mich zum Bleiben zu bewegen und einer 10-tägigen psychiatrischen Behandlung zuzustimmen, die mich wieder ins Leben und zur Malerei zurückbringen sollte. Bereits nach 3 Tagen war ich einigermaßen über den Berg und wollte das AKH verlassen, doch Rainer bestand auf 1 Woche Verlängerung und insgsamt 10 Stunden Therapie.
Rainer war und ist ein psychiatrisches Schwergewicht und kümmert sich normalerweise nur um wirklich KRANKE, und nicht um frustrierte, sexuell unterforderte Hausfrauen oder überzüchtetete, lebensmüde Künstlerseelen wie mich, die sich in ihrer Wohlstands-Verwahrlosung und aus überzogenem Selbstmitleid in einen frühen Tod flüchten wollen.
Während der 10-stündigen Therapie sprachen wir natürlich auch viel über Frauen, über deren Wichtigkeit für meine tägliche künstlerische Inspiration, und auch über die Attraktivität des Weiblichen an sich, was sie ausmacht und wie man sie definiert.
Und er erklärte mir etwas, auf das ich bisher kein Augenmerk gelegt hatte : Die Taillen-Hüft-Ratio !
„Sorry, lieber Rainer,- was soll das sein, – die Taillen-Hüft-Ratio ?“
„Also, die Taillen-Hüft-Ratio beschreibt jene Kurve von der Taille einer Frau bis zu ihrer Hüfte, und je nachdem, wie diese geschwungene Linie ausgebildet ist, desto attraktiver erscheint einem Mann ein weibliches Wesen. Und ist diese Kurve „schön“, oder gar „vollendet“, so ist sie die herausragende Komponente zur Bestimmung des Sex-Appeals einer Frau.“
Wieder was gelernt !
Nach 11 Tagen, am Montag den 13.September 93, entließ mich Rainer endlich als geheilt in mein einsames Zuhause, und bat mich, ihm laufend von meinem Befinden zu berichten und ihn sofort anzurufen, sollte sich mein Zustand verschlechtern.
Ans Malen war nicht zu denken, zu tief saß mir immer noch der Schock des Verlassen-Worden-Seins in den Knochen. Also beschloß ich einige belanglose Dinge zu tun, die mich ablenkten und mich ins Handeln zurückbringen sollten.
Ich erinnerte mich an eine sehr, sehr schöne Onyx-Vase, die ich vor dem Zusammenbruch in einem kleinen Geschäft in der Barnabitengasse gesehen hatte, und von der ich dachte, sie könnte meiner Mutter gefallen und sie wäre ein passendes Weihnachtsgeschenk.
Weihnachts-Geschenk für meine Mutter
Große Datei ! – Kann ein paar Sekunden dauern, bis das Bild lädt !
Ich spazierte also 2 Tage später, am 15.September die Zieglergasse in Wien hinunter bis zur Mariahilferstrasse und wollte dann von dort rechts in die Barnabitengasse einbiegen.
In diesem Augenblick sah ich sie : die perfekte Taillen-Hüft-Ratio ! Sie ging direkt vor mir, eine sehr gut gekleidete, blonde Dame in einem engen, offensichtlich maßgeschneiderten Kleid mit Blumenmuster, das diese wichtige geschwungene Linie zwischen Taille und Hüfte so signifikant hervorhob, dass es mir (wieder mal) den Atem raubte.
Es war um die Mittagszeit, was allerdings für meinen Jagdtrieb niemals eine Rolle spielte, und da ich ohnehin von allen guten weiblichen Geistern verlassen war, entschloß ich mich die Lady anzusprechen.
Wer ein echter Aufreißer, ein wilder und gefährlicher „Strassenkater“ sein will, der muss dies in freier Wildbahn, im öffentlichen Raum, auf den zahllosen Plätzen, Strassen und Parks seiner Heimatstadt beweisen, und darf sich nicht nur in bürgerlichen Zirkeln, Bällen und Veranstaltungen auf die Suche begeben, die nur dazu erfunden wurden, dass sich die ensprechenden Paar-Bildungen ergeben können.
Die Strasse war wahrlich mein Element, das natürlichste aller Biotope ! Dutzendfach hatte ich bewiesen, dass ich auf diesem Gebiete der Meister aller Klassen bin, und nicht wenige meiner Freunde, die zwar nicht gerade schüchtern waren, aber dann doch oft nicht den Mut hatten, eine schöne Unbekannte einfach so anzusprechen, vertrauten auf mich, dass ich den ersten Schritt tat, und sie sich dann um die oft vielfältige Beute kümmern konnten.
Doch diesmal war ich für mich selbst auf der Jagd. Gesagt getan !
„Liebe Dame, erlauben Sie mir ausnahmsweise, dass ich Sie einfach so auf offener Strasse anspreche, aber ich muss Ihnen wirklich 2 sehr wichtige Dinge sagen, wenn Sie kurz erlauben !“ Sie sah mich forschend an. Ich bin 1 m 87 groß, immer originell und gut gekleidet, in teuren Bally-Stiefeletten, mit perfekt sitzenden Armani-Jeans, einem aubergine-farbenen Samt-Sakko und meinem betörendsten Lächeln auf den Lippen, sodass es, rein äußerlich gesehen, keinen Anlass gab, mir einen Korb zu geben. Ich ging langsam schlendernd neben ihr her und erklärte ihr, was mir mein Arzt Rainer erst vor wenigen Tagen erklärt hatte : „Wissen Sie, Madame, jene verführerische Linie, die man Taillen-Hüft-Ratio nennt, das ist die geschwungene Linie zwischen Taille und Hüfte, die bei Ihnen so hervorstechend und unübersehbar ausgeprägt ist, hab ich noch selten in so einer Perfektion erleben dürfen, wie bei Ihnen, als Sie vor mir gingen, und ich Sie bewundern durfte. Ich danke dem Unerforschlichen, dass ich solch seltene Momente vollendeter Schönheit erleben darf !“ Sie lächelte leise und ich glaube, sie dachte sich : “ Na, der Typ hat wirklich seinen eigenen Schmäh!“- Jeder erfahrene Jäger weiß natürlich, dass man in so einem Augenblick nicht locker lassen darf, und ohne Unterbrechung sein Ziel weiter verfolgen muss.
Ich fuhr also fort : „Was Sie nicht wissen, und was auch mir selbst noch nie passiert ist, ist Folgendes : Den Stoff IHRES Kleides, dieses wunderbare Blumenmuster, das Ihnen steht, wie niemandem sonst, habe ICH persönlich entworfen ! Jahrelang war ich Designer für eine Vorarlberger Textilfirma, – ich stamme ursprünglich von dort -, unzählige Muster, Farben und Formen habe ich entworfen, aber noch NIE ist mir eines meiner Designs im wirklichen Leben AUF DER STRASSE begegnet, – und da dieser Augenblick auch für mich einzigartig ist, habe ich es gewagt Sie anzusprechen ! Verzeihen Sie mir bitte meine spontane Annäherung, aber sind es nicht jene seltenen, überraschenden Momente, die dem Leben seine Einzigartigkeit verleihen ?“
Sie ahnen es ! Es hat funktioniert ! (Damals 1993, – heute 2023, keine Chance.) Natürlich hatte ich explizit DIESEN Stoff NICHT entworfen, aber etliche andere ähnliche. Sigi Hämmerle, ein bekannter dornbirner Hemden- und Blusenschneider, mit dem ich lange Jahre befreundet war, hatte mir einige Aufträge besorgt, aber da ich letztendlich KUNSTMALER und nicht DESIGNER werden wollte, hatte ich bald aufgegeben, diese Kreativ-Richtung zu verfolgen. Aber für eine erfolgreiche Anmache war mir zu diesem Zeitpunkt keine Lüge zu schändlich.
Wir landeten in einem Café gleich neben der Kirche an der Ecke Mariahilferstrasse / Barnabitengasse. Nachdem ich mich ausgiebig vorgestellt hatte, fragte ich sie nach ihrem Namen, und was sie so mache.
„Mein Name ist Luzia Lombardi, und ich bin Blumenmalerin bei Augarten-Porzellan.“
„WOW,“ sagte ich, „was für ein unglaublich schöner Name ! Unfassbar, – und das hier in Wien !“
„Nein,“ sagte sie, „das ist kein Zufall, das ist eine eigene Geschichte !“
Ich blickte sie fragend an : „Wissen Sie, lieber Hugo, mein Mädchenname ist ein wahrer Albtraum ! Geboren bin ich, und jetzt halten Sie sich bitte fest, als NOTBURGA NEUNTEUFEL.
Doch mit 20 Jahren machte ich meine erste Reise auf einem Kreuzfahrtsschiff im Mittelmeer. Dort, auf dem Schiff, traf ich einen jungen Römer mit dem Namen Luca Lombardi. Ich verliebte mich auf der Stelle in ihn, – und nach meiner Rückkehr und 100 Telefonaten nach Rom heirateten wir hier in Wien und unser Standesbeamter hatte ein Einsehen, dass ich nicht NOTBURGA LOMBARDI heißen wollte. Er drückte ein Auge zu und schrieb in seine Unterlagen das von mir gewünschte Luzia Lombardi, und seitdem bin ich meinen altvatrischen Namen Notburga Neunteufel Gott sei Dank für immer los. Leider war mein lieber Ehemann Luca ein Total-Flop, er war ein ziemlich fauler Elektriker, zog nach unserer Hochzeit gleich zu mir nach Wien, und war der Meinung, es genüge, wenn ICH arbeite, – und ER deutsch lerne. Zudem war er ein unverbesserlicher Schürzenjäger, – und nachdem ich ihn mit meiner besten Freundin in MEINEM Bett erwischte, warf ich beide raus, – und die Sache nahm ein schnelles Ende. Wenigstens ist mir der schöne Name geblieben. Aber wenn Du es gern österreichisch hast, darfst Du mich auch BURGI nennen, die Abkürzung von Notburga, einer tiroler Volksheiligen (um 1265–1313) !“
„Unglaublich,“ sagte ich, „was für eine Geschichte ! Ich bin echt platt“.
Um das Herz einer schönen 27-jährigen Dame zu erobern und dauerhaft ihre Seele zu berühren, bedarf es der Einsicht des Mannes in die Psyche einer Frau.
Der Mensch ist in erster Linie ein ästhetisches Wesen, und wenn zwei Suchende einander zum ersten Mal begegnen, so entscheiden nur wenige Sekunden über Sympathie oder Antipathie, über Anziehung oder Ablehnung, über ein langes JA oder ein kurzes NEIN.
Mädchen der gehobenen Mittelschicht wurden schon zu allen Zeiten dazu erzogen, ja geradezu akribisch darauf vorbereitet, in allen möglichen gesellschaftlichen Situationen das Richtige, sprich : das Angemessene zu tun. Und das vorallem mit jener außerordentlichen Natürlichkeit darzustellen, dass es den Anschein hat, es sei das Einfachste der Welt, auch wenn jeder weiß : Gute Manieren und souveränes Auftreten sind nicht eine Frage von Tagen und Wochen, sondern von Jahren und Jahrzehnten. Und ja, und es ist die Tragik ganzer Länder und Völker immer unpassend, eingezwängt und dilettantisch zu erscheinen, im Gegensatz zu jenen, denen die Eleganz und der Adel des Äußeren angeboren zu sein scheint. Vergleichen sie das jahrzehntelange unnachahmliche Auftreten der ehemaligen englischen Königin Elisabeth mit dem durch und durch vulgären Erscheinungsbild einer abgehafterten Angela Merkel ! Sie ist das menschgewordene ästhetische Grauen. Jeder kennt ihre seltsamen, immer gleichen Mao-Anzüge, und selbst ihre plumpen Auftritte in Bayreuth, in ihren schlecht geschnittenen Abendkleidern, von schöpferischen Analphabethen entworfen und zusammengenäht, erzeugen auch bei weniger modisch Erfahrenen einen spontanen Brechreiz, der zum unmittelbaren Wegschauen, Abwenden und Abschalten zwingt. Und in Kate, der Frau des Kronprinzen William, hat die QUEEN eine würdige Nachfolgerin in Sachen Eleganz, Natürlichkeit, Mode-Geschmack und Würde gefunden, die es in deutschen Landen niemals geben wird. Aber lassen wir das, es ist zu deprimierend, – das Styling der Deutschen, der Schweizer und der österreichischen Polit-Elite ist von einer derart erbärmlichen Durchschnittlichkeit, das jedes französische Küchenmädchen am Samstagabend in der Disco als eine Perle modischer Kreativität erscheinen läßt.
„It’s all about styling.“
Doch zurück zu meiner Burgi und mir, zu diesem unscheinbaren Mittwoch, im September, zu Mittag, in Wien.
Erlebnishungrige junge Damen sind zu nahe 100 % für eine bestimmte Sache immer zu begeistern : für’s SHOPPING !
Also bat ich meine schöne Burgi, mich doch in die naheliegende Barnabitengasse 8 zu begleiten, dem ehemaligen Stelzhammer-Haus, wo ich jene außerordentliche Onyx-Vase gesehen hatte, die meiner Mutter wohl gefallen würde. Ästhetische Gemeinsamkeiten von Mann und Frau verbinden ungemein, und beim ersten Kennenlernen werden diese parallellen Sichtweisen des als „schön“ Empfundenen als erstes überprüft, oft noch vor intellektuellen Unterschieden oder ökonomischen Divergenzen.
Die Vase war noch da, Burgi war davon ebenfalls begeistert, – und ich bezahlte mit der Geste eines geübten Lebemannes die üppigen 3000 Schillinge dafür, ohne mit der Wimper zu zucken, im sicheren Wissen, dass das Geld in diesem gemeinsamen Kunstwerk von Mensch und Natur wahrlich gut angelegt ist.
Überdurchschnittlich gutaussehende Damen haben auch noch oft ein weiteres ganz eigenes Problem. Sie werden weitaus weniger oft angesprochen als das pummelige Lieschen Müller, das im Supermarkt die Regale putzt. In ihrer Schürze über dem zerknitterten Kleid und ihrer labbrigen Unterhose ist sie für jeden LKW-Fahrer ein mögliches Ziel seiner Anmache, und er läßt sich ungeniert zu biederen Sprüchen und Kommentaren hinreißen, die er bei einer eleganten, femininen Erscheinung niemals wagen würde. Durchschnittliche Mädels der eher unteren gesellschaftlichen Schichten haben oft einen ganzen Rattenschwanz an kraftstrotzenden, proletarischen Verehrern hinter sich, wo hingegen das herausgeputzte Töchterchen des Bankdirektors sich mit ein, zwei völlig verweichlichten Bubis abgeben muss, die nicht einmal ihren Tennisschläger richtig halten können. Das führt zu Langeweile und Frustrationen beim weiblichen bürgerlichen Nachwuchs, der sich natürlich etwas Anderes wünscht als junge, blasse und angepaßte, woke Nasenbohrer.
All dies wissend, und meiner Erscheinung, meines Auftretens und meiner persönlichen Wirkung auf das andere Geschlecht bewußt, deutete ich an, dass ich nicht nur großzügig gegenüber meiner Mutter und mir selbst bin, sondern auch gegenüber einer möglichen Geliebten. In jedem schönen Mädel in Wien schlummert eine kleine Prinzessin, die herumgetragen werden will, und wenn man es versteht, diesen geheimen Knopf zu drücken, öffnen sich nicht nur die Seelen und Herzen der jungen Damen, sondern auch die Blusen und Büstenhalter.
Burgi war tatsächlich solo. Seit ihrer gescheiterten, kurzen Ehe, hatte sie zwar einige mutlose Verehrer um sich versammelt, aber natürlich war sie inzwischen alt und erfahren genug, um zu erkennen, dass all diese lauwarmen Gestalten sie auf Dauer niemals glücklich machen konnten. Sie wollte brennen, lichterloh, vor Liebe, Lust und Begierde.
Das war mein Moment !
Der Zufall hilft oft dem Glücklichen : Burgi erwähnte im Gespräch, dass am kommenden Montag ein 14-tägiger ungeplanter Urlaub beginnen würde, der sie für 2 Wochen von ihren kleinen, barocken Rosen, gestreuten Kornblumen und hellblauen Vergissmeinnicht erlösen würde, die sie seit Jahren tausendfach und in immer neuen ornamentalen Versionen auf ihr edles Augarten-Porzellan malte. (Augarten-Kaffeetasse + Untertasse, handbemalt : 250 € !)
Erfolg ist auch immer eine Frage des Timings. Mit der Selbstverständlichkeit eines alten Verführers ließ ich anklingen, dass ich genau nächste Woche eine kleine Bildungsreise nach Florenz, ins Herz der Toskana, planen würde, die mich zu neuen Werken inspirieren sollte, und dass ich mich glücklich schätzen würde, wenn sie in Erwägung zöge, mich eventuell dabei zu begleiten.
Wenn junge Damen voller unbestimmter Liebes-Sehnsucht die Worte Florenz und Toskana hören, dann entstehen in ihren Köpfen Bilder von romantischen Dinners bei Kerzenschein und edlen Weinen, von urigen Betten in noblen rustikalen Hotels, von Sonnenuntergängen am lauschigen Meeresstrand und weißen Muscheln im weichem Sand, der spielend durch ihre Hände fließt. All diese Klischees von goldenen Feldern mit grünen Zypressen gilt es in den Seelen der Damen fest zu verankern und sie hoffen zu lassen, dass dies alles Wirklichkeit werden würde, und zwar nicht irgendwann in einer fernen Zukunft, sondern bald, schon nächste Woche, und dass genau jetzt die Zeit ist romantische Erlebnisse und Erinnerungen zu generieren, denn dies ist das Einzige, was am Ende aller Tage übrigbleibt. Auch in jungen Psychen gibt es manchmal die Ahnung einer späten Einsamkeit, die es mit wirklich Erlebtem rechtzeitig zu füllen gilt.
Und schon war es um sie geschehen. Ich hatte sie erwischt. Denn auch in ihr schlummerte eine diffuse Traumwelt, die Sehnsucht nach einer unbekümmerten subversiven Zeit, einer lasziven Bohème, die auzuleben sie bis heute nicht gewagt hatte. Ein konkretes, und durch und durch positives Ziel vor und in ihren Augen entstehen zu lassen, – und all das natürlich gratis, denn ich, als Gentleman, würde natürlich alle Kosten tragen -, ist ein unüberwindbares Netz für eine junge, hungrige Seele, die über Jahre eher unentschlossen vor sich hin waberte, und keine anderen Ankerpunkte in ihrem Leben hatte, als ihre Arbeit, ihre Familie und ein paar namenlose Freunde.
Und es sollte tatsächlich Wirklichkeit werden. In den folgenden 2 Tagen trafen wir uns gegen abend nach ihrer Arbeit und dann begann bereits unser erstes Liebes-Wochenende, hier zuhause in unserem schönen Wien, in ihrer vertrauten, angstfreien Heimat, überwältigt durch die Macht meiner Bilder und hypnotischen Worte, in meinem Atelier, in meiner Wohnung und letztendlich auch in meinem Schlafgemach. Am Sonntag-Abend war alles entschieden, sie würde mit mir fahren, ins herbstliche Licht eines sonnigen Italiens, ins Herz einer bedeutenden Kulturnation. „Liebste, wir werden auf ihren Spuren wandeln, den herausragendsten Künstlern dieser Welt, wir werden Michelangelos DAVID begegnen, die UFFIZIEN durchwandern, – und abends köstlichen Wein aus schimmernden Gläsern im Mondenschein genießen, bevor wir leicht betrunken unser Schlafzimmer im 5-Sterne-Hotel in ein Schlachtfeld der Lust und Liebe verwandeln.“
Das war der Plan !
Am Dienstag sollte es losgehen. Für Montag hatte ich ihr versprochen, sie für unseren ersten Urlaub neu einzukleiden, etwas Buntes für die Reise, neue Schuhe und etwas Schmuck. Dankbar dafür, dass meine Kunden und Sammler gute Preise für meine Gemälde zahlten, im Schnitt zwischen 30.000 und 50.000 Schillingen, -(heute etwa zwischen 3.000 und 5.000 €) -, war es mir ein Leichtes, diesen Urlaub und ein paar Vorab-Geschenke zu finanzieren. Im Gegensatz zu meinen weitaus berühmteren wiener Kollegen wie Ernst Fuchs, das einstige Wunderkind, das zeitlebens pleite war und über seine Verhältnisse lebte, wie auch Rudolf Hausner, der einem sehr aufwändigen Lebens-Stil mit geld-intensiven Frauen an seiner Seite huldigte, war ich eher von der „normalen“ Sorte, – und dadurch auch immer liquide. Ich brauchte weder einen goldenen Rolls-Royce wie Ernst Fuchs, noch eine eigene Insel irgendwo im Pazifik wie der geniale Friedensreich Hundertwasser, – wo ich ohnehn in kürzester Zeit vor Einsamkeit gestorben wäre. Da gönne ich mir lieber ein paar lustige Tage mit einer liebestollen Burgi mit erhöhter Temperatur in bestimmten Körperzonen, als drei Gärtner zu bezahlen, die meinen Garten pflegen, für den ich ohnehin keine Zeit habe, weil ich Tag und Nacht malen muss, um meine Schulden zu bezahlen.
Noch mit den alten, schwarzen Auto-Kennzeichen !
Große Datei ! – Kann ein paar Sekunden dauern, bis das Bild lädt !
Da ich seit ca. 15 Jahren kein Auto mehr hatte, wollte ich eigentlich ein Auto mieten, doch Burgi hatte von ihrem tochter-verliebten Vater als einziges Kind nicht nur eine angemessene Wohnung in Wien-Hietzing geschenkt bekommen, sondern auch einen schnuckeligen gelben Alfa-Romeo-Spider, den sie mir für unsere erste gemeinsame Reise anbot. Sie würde ihn auch gerne selbst fahren, sodass ich die Gelegenheit hätte, die Schönheiten und Attraktionen der Landschaft uneingeschränkt zu genießen und in mich aufzunehmen, um sie später in meinenen Werken verarbeiten zu können. Dankbar nahm ich ihr Angebot an und so fuhren wir dann am Dienstag gegen Mittag los, nachdem wir unsere Koffer gepackt und noch ausgiebig gefrühstückt, bzw. gebruncht hatten.
1993 gab es für die Allgemeinheit weder Handy noch Internet. Also fuhren wir ins Blaue hinein, mit der sicheren Überzeugung vor Ort eine passende Unterkunft zu finden, von der aus wir unseren Kunst- und Liebeshunger stillen und genießen konnten.
Wir fuhren also von Wien über Graz und Klagenfurt zur italienischen Grenze, passierten Udine und dann vorbei an Venedig , Padua, Ferrara und Bologna bis ins Herz der Toskana nach Florenz. Knapp vor 22 Uhr hatten wir die knapp 900 km dann endlich geschafft und hielten Ausschau nach einer passenden Herberge.
Die grelle Neonschrift eines Touristen-Hotels ließ uns anhalten und eintreten, doch der freundliche Italiener an der Rezeption hatte kein Zimmer mehr für uns frei : ausgebucht. Wenn wir aber wollten, – so schlaumeierte Alessandro, der Rezeptionist, und mit einem Privat-Zimmer vorlieb nehmen könnten, so würde eines ganz in der Nähe zur Verfügung stehen. Es wäre im Hause seiner Mutter, würde nur die Hälfte des Hotelpreises kosten und er würde uns persönlich dort hinbringen, damit wir nicht lange zu suchen brauchten. Gesagt, getan.
Das Zimmer bei Antonia war groß und geräumig, mit einem überdimensionalen geschnitzten Schmerzens-Jesus am Kreuz mit Dornenkrone zwischen den beiden Fenstern und einem typischen querformatigen Heiligenbild über einem antiken Ehebett, in das wir vor Müdigkeit gleich hineinfielen und in unsere Träume versanken.
Der nächste Morgen hatte gleich einen ersten Schock und zugleich einen herzhaften Lacher für uns parat. Als Burgi die beiden Fenster öffnete, um frische Luft ins Zimmer zu lassen, blickte sie direkt auf die Gräber und Statuen eines florentinischen Monumental-Friedhofes, von denen es gleich 3 in Florenz gibt.
Friedhöfe wie dieser Cimitero delle Porte Sante sind einerseits Orte, die die Menschen zur Stille, zur Meditation und zum Gebet einladen, andererseits sind sie aber auch wahre Freilichtmuseen, von der Stimmung her eher feierlich, aber teilweise auch mit heiterer Atmosphäre, zumindest bei Schönwetter.
Burgi und ich hatten an diesem herrlich-blauen Herbstmorgen natürlich nichts mit Tod und Gräbern am Hut, sondern fröhnten erstmal dem Leben in seiner hedonistischsten Variante.
Antonia, die Mutter des Rezeptionisten, hatte uns ein herrliches Frühstück zubereitet, und neugierig wie alle italienischen Mamas, befragte sie uns über unsere Herkunft, unser Leben und unsere Ziele. Burgi, die sehr gut italienisch sprach, – schließlich war sie ja 2 Jahre mit einem solchen verheiratet, plauderte lange mit unserer Wirtin, bis all deren Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet waren.
All die Attraktionen der Kunst in Florenz, die wir die kommenden 3 Tage abarbeiteten, überspringe ich jetzt. Jeder kennt die Uffizien, wo man die beeindruckendsten Skulpturen und Gemälde der Renaissance bestaunen kann, oder die Galleria dell’Accademia mit seiner berühmten David-Statue von Michelangelo. Die restlichen 15 Museen schafften wir nicht mehr, und nach der 3. Kirche ließen wir auch das, denn weder Burgi war fromm noch ich, und unser beider Leben in diesen fröhlichen Tagen schon ganz und gar nicht.
Am Samstag zu Mittag war dann auch unser 3-Tages-Museums-Pass abgelaufen und wir hatten auch inzwischen wirklich genug von Kunst und Kultur und suchten nach etwas Anderem.
Antonia, unsere Wirtin und erfahrene Fremden-Betreuerin, schlug uns vor einen Abstecher nach Impruneta, 15 km südlich von Florenz, zu machen. Das Traubenfest in Impruneta, mitten im toskanischen Chianti-Weinanbaugebiet, findet jeden letzten Sonntag im September statt, also morgen, und ist ein Spektakel, das jedes Jahr Tausende von Menschen in die Stadt lockt.
Sonntag früh, nach dem Frühstück, also ab ins Auto und auf nach Impruneta !
Burgi, bestensgelaunt und todschick mit ihren blonden Haaren unter einer orangenen Haube in ihrem gelben, offenen Alfa-spider, und meine Wenigkeit mit Schal und Sonnenbrille, machten uns auf zu neuen Abenteuern in die toskanische Provinz !
Der Mittelpunkt der Wein- und Terrakotta-Stadt Impruneta, die ursprünglich eine Ansammlung von zwölf kleine Ortschaften ist, die alle auf einigen nah beieinander liegenden Hügeln verteilt sind, ist schon seit ewiger Zeit die um 1060 erbaute Walllfahrtskirche Santa Maria mit ihrem alles überragenden Campanile (Glockenturm). Vor der Kirche erstreckt sich der Hauptplatz, die Piazza Buondelmonti, der Treffpunkt der Stadt, wo der Markt und die traditionellen Feste stattfinden.
Bei unserer Ankunft auf der großzügigen Piazza herrschte bereits überall reges Treiben und nur mit Mühe ergatterten wir noch 2 Plätze an einem langen Tisch, der uns beste Aussicht auf das gewährte, was demnächst kommen sollte.
Die Eröffnung des Traubenfestes lag in den Händen des Bürgermeisters, von dessen Rede ich kein Wort verstand, aber das darauf folgende Konzert der Filarmonica Giuseppe Verdi di Impruneta war beeindruckend. So wie unser Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker nicht ohne ein Dutzend Kompositionen der Strauss-Familie auskommt, geht im schönen Italien natürlich auch nichts ohne Puccini, Rossini und natürlich den unvergleichlichen und überragenden Giuseppe Verdi. Das Orchester war zu diesem feierlichen Event noch durch 2 Sänger verstärkt worden, einen wahrlich erfahrenen Belcanto-Tenor, der mit seinem „La donna è mobile“ aus Verdis „Rigoletto“ für grandiose Stimmung sorgte, und einer etwas fülligen und zigeunerhaften Mezzosopranisten oder Altistin, die mit ihrem rauchigen Timbre und frivolen Tanzeinlagen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss.
Auch ich applaudierte aus tiefster Überzeugung.
Der Höhepunkt der Veranstaltung ist der Wettbewerb zwischen den 4 Bezirken Imprunetas mit der Parade der Festwagen. Jeder der 4 Bezirke stellt seine Wagen vor der Basilika auf, wo dann eine choreografierte Geschichte vorgetragen wird, in deren Mittelpunkt das Thema Weintrauben steht. Danach trifft eine Jury dann die Entscheidung über den Siegerwagen des Jahres.
Neben uns, eigentlich neben Burgi, saß ein Mann, dem man eine gewisse Aufregung ansah, und der in den Pausen der Veranstaltung begann meiner Burgi seine Geschichte zu erzählen.
Sein Name war Umberto Santoro, er war etwa in meinem Alter, Mitte 40, und er begann seine Erzählung mit einem Ereignis vor 20 Jahren, im Jahre 1973 :
„Ich war Mitte 20, als ich meine in Rom verheiratete Schwester Laura besuchte. Ich spazierte an einem heißen Junitag über die Piazza Navona in Rom. Gegenüber des berühmten Neptun-Brunnens, in einem der Häuser war eine kleine, mit bunten Tüchern verhangene Türe und darüber ein Schild mit „Chiromanzia“ („Handlesen“).
Ich trat ein, aus Neugier und Langeweile, und was dann geschah, sollte mein ganzes Leben verändern. Eine ältere, aber noch immer attraktive Frau mit dunklen Haaren saß in diesem schwach beleuchteten Raum an einem mit einem Teppich überzogenen Tisch und bat mich ihr gegenüber Platz zu nehmen.
Sie sagte mir, wenn ich etwas aus meiner Vergangenheit erfahren wolle, dann möge ich ihr die rechte Hand geben, wenn ich Rechtshänder sei, und die Linke, wenn ich mehr an meiner Zukunft interessiert sei. Ich reichte ihr meine Linke, – ich war jung und es war für mich natürlich wichtiger, zu erfahren, was meine Zukunft für mich bereit hielt, als in einer Vergangenheit zu wühlen, von der ich glaubte, sie ohnehin zu kennen.
Sie betrachtete sehr lange meine Hand unter einer kleinen Nachttischlampe, hielt dann inne, klappte meine Hand zu und sagte : „Meine Name ist Romania und ich weiß, dass Dein Name 7 Buchstaben hat wie auch der meine, – und ich habe eine ganz besondere Nachricht für Dich ! Mir wurde soeben von der großen Macht der Auftrag gegeben, Dir zu sagen, Du mögest den Weg des Engels gehen. Es wird Dir bald eine Frau begegnen, die Deiner Hilfe bedarf, und wenn Du ihr hilfst, wird Dir großes Glück widerfahren, denn du trägst das Zeichen eines Auserwählten in deiner Hand, aber wenn Du Dich abwendest, wird keine frohe Stunde mehr in Deinem Leben sein. Denn die Vögel des Himmels können Deine Gedanken lesen und tragen Deine geheimen Worte zu dem, der die Gesetze macht. Und wenn sein Fluch Dich trifft, wird sich Dein Garten für immer in eine Wüste verwandeln. – Mehr habe ich Dir nicht zu sagen. Jetzt geh, und tu, was Dir die große Stimme befohlen hat.“
Ich war wie erschlagen. Was hatte das alles zu bedeuten ? Ich wußte es nicht.
Ich fragte, was ich ihr schuldig sei, und sie sagte : „Nichts, denn mein Lohn ist nicht von dieser Welt. Adieu.“
Ich taumelte auf die Strasse, zurück in die laute Welt eines belebten Platzes mitten in Rom, und wußte nicht, was ich von dem soeben Erlebten halten sollte. Hatte es etwas zu bedeuten, oder würde ich es bald vergessen haben. Nachdenklich fuhr ich nach Hause zu meiner Schwester, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren.
Zwei Tage später bestieg ich gegen 8 Uhr früh am Bahnhof Roma Termini den Zug nach Florenz, wo mich nach knapp 2 Stunden Fahrzeit mein Bruder Tomaso in Florenz abholen sollte. Tomaso und ich hatten vor Kurzem das alteingesessene Weingut unseres Vaters übernommen. Wir hatten große Pläne und auch das nötige Wissen, um unser Terroir in Impruneta optimal weiter bewirtschaften zu können. Tomaso und ich hatten die Weinbauschule RICASOLI in Siena besucht und abgeschlossen. Unsere Eltern, erfahrene Weinbauern seit Jahrzehnten, hatten uns schon früh auf die Übernahme vorbereitet, denn im Grunde seines Herzens wollte unser Vater lieber seiner Natur folgend in einer eigenen Trattoria den Sommelier spielen.
Als ich meinen reservierten Fensterplatz im Schnellzug nach Florenz einnehmen wollte, mußte ich feststellen, dass da bereits eine junge Dame saß. Ihr eigener Platz war eigentlich der mir gegenüber, aber da sie lieber in Fahrtrichtung saß, hatte sie sich erlaubt, meinen Platz zu okkupieren. So kamen wir gleich ins Gespräch und nachdem ich mich eingerichtet hatte, schlug ich meinem außerordentlich attraktiven, weiblichen Vis-à-Vis vor, mich in den Speisewagen zu begleiten, da ich noch nicht gefrühstückt hatte. Sie war einverstanden und so baten wir den Herrn jenseits des Mittelkorridors, auf unsere Koffer aufzupassen, und begaben uns mit unserem Handgepäck, Geld, Pass und Ticket, ins Bord-Rerstaurant. Wir fanden zwei Plätze an einer Art Bar und nachdem ich meine Neugier nur schlecht verbergen konnte, erzählte mir Emilia ihre abenteuerliche Geschichte.
Sie war am Vortag von Caltagirone, ihrer Heimatstadt im Herzen Siziliens, abgereist, und hatte bereits 12 Stunden Bahnreise hinter sich. Eigentlich sei sie auf einer Art Flucht. Natürlich wollte ich alles ganz genau wissen, und da ich mich gerade an die seltsamen Worte der Wahrsagerin von der Piazza Navona erinnerte, fragte ich mich natürlich, ob Emilia wohl diejenige Dame sein könnte, die mir die Handleserin prophezeit hatte.
Emilia erzählte, sie gehöre zu einer der ältesten Familien in Sizilien, und fragte mich, ob ich über die spezifischen süd-italienischen Probleme dieser Region Bescheid wüßte. Ich verneinte, und so fuhr sie fort :
„Umberto, nicht nur in Palermo, nein, in ganz Sizilien ist die Gesellschaft zweigeteilt. Einerseits gibt es hier den Clan des Verbrechens und auf der anderen Seite gibt es die Familien des Friedens. Mein Großvater stammt ursprünglich aus dem Clan derer, dessen Name niemand auszusprechen wagt, hatte sich aber von den Machenschaften des Syndikats abgewandt, als er meine Großmutter heiratete, die aus einer ehrbaren Handwerker-Familie stammte, und die dazu ausersehen war, die Keramik-Produktion ihrer Vorfahren fortzuführen. Enzo, mein Großvater, übernahm dann diese Aufgabe und unter seiner Führung expandierte und florierte das alteingesessene Unternehmen seiner Frau auf das Vorzüglichste. Der Familie meiner Großmutter wurde eine tausendjährige Vergangenheit nachgesagt, deren Ursprung der alten Legende der „Teste di Moro“ entsprang. Bei diesen Teste di Moro handelt sich um elegante, handbemalte dekorative Keramikvasen in Form von zwei Mohrenköpfen, einem männlichen und einem weiblichen, deren Entstehung auf eine tragische Liebesgeschichte zurückgeht. Die Legende besagt, dass in Kalsa, im Herzen Palermos, ein schönes, adeliges Mädchen lebte, das sich gerne um die Pflanzen auf ihrem Balkon kümmerte. Eines Tages wurde ein Maure mit Turban auf sie aufmerksam und verliebte sich in sie. Der Mann erzählte ihr von seinen Gefühlen, und die beiden waren vom Verlangen überwältigt und gaben sich einander hin. Als das von ihrer Leidenschaft überwältigte Mädchen erfuhr, dass ihr Geliebter bald in den Osten zurückreisen würde, wo Frau und Kinder auf ihn warteten, ergriff sie das grünäugige Ungeheuer – die tödliche „Eifersucht“. Sie fühlte sich durch seinen Verrat bis ins Innerste gedemütigt und tötete den Mauren, während er schlief, indem sie ihm in einem Anfall von barbarischer Gewalt den Kopf abschlug. Seinen Kopf benutzte sie dann als Vase, in der sie berauschend duftendes Basilikum pflanzte. Das Mädchen bewässerte die Pflanze täglich mit ihren Tränen, und mit der Zeit wuchs das Basilikum derart üppig, dass es von der gesamten Nachbarschaft wahrgenommen wurde.
Der eindringliche Duft des Basilikums, der altgriechischen Königspflanze, erregte die Neugier der Nachbarn, die daraufhin begannen Keramikvasen in Form des abgetrennten Mohrenkopfes bei dem Mädchen zu bestellen. Auf diese Weise begründete die junge Adelige die sizilianische Keramik-Tradition, die sich bis heute gehalten hat.“
handbemalte dekorative Keramikvasen in Form von Mohrenköpfen
Große Datei ! – Kann ein paar Sekunden dauern, bis das Bild lädt !
Ich hörte aufmerksam zu, als Emilia plötzlich ernster wurde und fortfuhr :
„Umberto, sicher hast Du schon gehört, dass in Palermo eine Sonderkommission zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens gegründet wurde. Kurz darauf wurden von der Mafia 2 Mitglieder dieser Kommission ermordert. Mein Großvater war ein Freund vom Chauffeur eines der Ermordeten, der das Attentat knapp überlebte, obwohl er im selben Auto saß wie die beiden Beamten, die auf der Stelle tot waren. Vor Kurzem kam nun das Gerücht auf, dass mein Großvater, der ja ursprünglich aus dem Familien-Clan des Verbrechens stammte, dem Chauffeur geheime Namen genannt haben könnte, und dieser diese Informationen an die Mafia-Jäger weitergegeben haben könnte. Und da man sich in unserer Familie der Rache-Gelübde der „Organisation“ sehr bewußt ist, hat mir meine Großmutter befohlen, Sizilien auf der Stelle zu verlassen, und mich an einem unbekannten Ort zu verstecken. Und so bin ich nun auf dem Weg nach Impruneta, in die Terrakotta und Keramik-Stadt, wo meine Oma eine befreundete Familie kennt, bei der ich als Keramik-Künstlerin Arbeit finden könnte.“
Mir verschlug es die Sprache : Hatte Emilia gerade IMPRUNETA gesagt, diese kleine Stadt im Herzen der Toskana, die niemand kannte, und die mein Zuhause war ? Tatsächlich, sie war auf dem Weg nach Impruneta ! Das kann kein Zufall sein, dachte ich mir, all das erscheint mir eher als ein Fügung Gottes.
Emilia war natürlich genauso überrascht wie ich, dass sie ausgerechnet auf dem Weg in jenes eher unbekannte Städtchen war, in dem ich geboren war und immer noch wohnte. Auch ihr erschien es mehr als ein Zeichen einer höheren Gewalt, denn als ein Zufall.
Beschwingt und gut gelaunt verließen wir den Speisewagen, um in unseren Waggon zurückzukehren. Als wir dort ankamen, erwartete uns ein Schock. Wir hatten etwa noch eine halbe Stunde Fahrzeit bis Florenz, aber offensichtlich hatte jener Mann, den wir gebeten hatten, auf unser Gepäck aufzupassen, die Gelegenheit genutzt Emilias Koffer zu stehlen und war mit diesem offenbar irgendwo ausgestiegen. Natürlich auf Nimmer-Wiedersehen.
Nun stand sie da, Emilia, ohne Kleider, nur das, was sie am Leibe trug, und ihre Handtasche, die sie zu unserem Frühstück an der Bar mitgenommen hatte.
Natürlich bot ich Emilia sofort an, sie in unserem Auto von Florenz nach Impruneta mitzunehmen, wo sie um 14 Uhr bei der befreundeten Familie erscheinen und ihr Vorstellungs-Gespräch absolvieren sollte.
Tomaso, mein verläßlicher Bruder, erwartete mich schon auf dem Bahnsteig. Ich stellte ihm Emilia, meine bezauberde Reisebekanntschaft vor, skizzierte ihm kurz die Lage, und da es erst 10 Uhr vormittags war, und Emilia nichts Frisches mehr zum Anziehen hatte, entschlossen wir uns Emilia zu einer gemeinsamen Shopping-Tour zu überreden.
Florenz ist natürlich nicht nur eine der großen Kulturstädte der Welt, sondern auch eine Stadt der Mode. Mit der Mode-Metropole Mailand kann man Florenz zwar nicht vergleichen, aber ein paar schöne Kleider, Dessous und Schuhe findet man hier auch an jeder Ecke. Lachend erlaubte es uns Emilia, ihr bei ihren Einkäufen „beratend“ zur Seite zu stehen, wobei sie natürlich ahnte, dass wir nur ein paar intime Blicke auf ihren untadeligen Körper in der Umkleide werfen wollten.
Da sie ja irgendwie auch meinetwegen, bzw. wegen meiner Einladung in den Speisewagen, ihres Koffers beraubt worden war, bot ich ihr an, all ihre neuen Dessous zu bezahlen, die sie nun benötigte, wenn sie mir erlauben würde, sie dabei stilistisch zu beraten. Sie meinte zwar, das sei in Italien nur Ehemännern und neuen Liebhabern erlaubt, aber ich antwortete zwinkernd, man könne mittelfristig weder das Eine noch das Andere ausschließen. Damit war der Bann gebrochen, unser Flirt war in vollem Gange, SIE wußte es, ICH wußte es, und mein Bruder, der im Auto saß und wartete, ahnte es zumindest.
Mit vielen Packerln beladen, stiegen wir in den Wagen von Tomaso, wo wir Emilia anboten, dass sie doch vorübergehend in unserem Haus wohnen könnte. Unsere Nonna war letztes Jahr gestorben, wir hätten Platz ohne Ende, ihr Zimmer wäre frei und es wäre eine Ehre für und, sie in unserem Hause willkommen zu sein. Nach einigem Zögern stimmte sie zu, und ich war wieder einmal stolz auf meine Überredungskunst, die ich natütlich nicht so nannte, sondern „Überzeugungskraft“.
Unsere Eltern staunten nicht schlecht, als wir ihnen die schöne, dunkelhaarige Emilia, mein Fundstück aus dem Fernzug präsentierten, aber Anfang der 70er-Jahre, waren selbst in Italien die Sitten bereits etwas freizügiger geworden, sodass so ein katholischer Tabubruch auch in einer eher konservativen Familie toleriert werden konnte.
Pünktlich um 14 Uhr brachte ich dann Emilia zu ihrem Keramik-Vorstellungsgespräch, am anderen Ende der Stadt. Ich wartete solange im Auto, etwa eine dreiviertel Stunde, und danach fuhren wir in die hügeligen Weinberge, wo sie von oben einen Blick auf unsere Stadt und die sich anschließende Ebene werfen konnte.
Nun, sie ahnen es, – ich war verloren ! Nicht nur die Prophezeihung der Handleserin von der Piazza Navona war eingetroffen, sondern auch die Gewissheit, dass ich ein Auserwählter sei, und nun diesen eigenen Gesetzen zu folgen hätte.
Emilia blieb nicht nur 1 Nacht in unserem Hause, sondern bis heute – 20 Jahre. Nach 6 Monaten heirateten wir und nach 12 Monaten gebar Emilia unsere Tochter, die sie im Andenken an ihre eifersüchtige Ur-Ahnin, die ihren treulosen Liebhaber gemeuchelt hatte, Maurizia nannte.“
Umberto erzählte diese Geschichte meiner lieben Burgi, die mir alles übersetzte, und zum Abschluss gab es dann noch die Überraschung des Tages, den Grund für die unübersehbare Aufregung, in der Umberto augenscheinlich gefangen war.
Nach dem Höhepunkt des Traubenfestes, der Kür des Siegerwagens, sollte ja, wie jedes Jahr die alte Weinkönigin, der neuen Prinzessin ihre Krone überreichen, – und die neue toskanische Weinkönigen des Jahres war : die 19-jährige MAURIZIA, – die Tochter von Umberto.
Und schon kam sie angefahren, die wunderschöne und herausgeputzte Maurizia, auf einem üppig dekorierten Erntewagen, mit langen roten Haaren, die Krone der Siegerin wurde auf ihrem Haupt platziert. Sie trug ein lichtgrünes, pastellfarbiges Kleid, das an ein Brautkleid erinnerte, und das mich als Maler vom Hocker riss !
Was für eine Schönheit ! Unübersehbar ein Kind der Liebe, privilegiert durch eine gottgebene Aura und Präsenz, die sofort jeden Raum, ja sogar diesen ganzen riesigen Platz erfüllte, und die der Augenblick ihres Erscheinens zu einem Ort der Unvergesslichkeit machte.
Umberto stand auf, um zu seiner Tochter zu eilen, an diesem Tag, wo sie so schön war wie nie zuvor, und sie innig umarmte, damit jeder sehen konnte, dass er es war, der sie gezeugt, geliebt und geformt hatte. Es war nicht nur IHR Tag, es war auch der Seine, und das Strahlen in seinen Augen zeigte, dass er dem Weg des Engels gefolgt war, wie ihm befohlen, und er ein würdiger Träger des Zeichens des Auerwählten war, ein geheimer Heiliger, ein Apostel der Liebe, mitten im Herzen der Toskana.
Applaus brandete auf, alle erhoben sich, um der jungen Gekürten ihre Ehre zu erweisen. Das Bild der jungen Maurizia brannte sich für immer ein in die unendliche Galerie der ewigen Ikonen, die zu malen eine höhere Macht mich zwingt und immer gezwungen hat.
Große Datei ! – Kann ein paar Sekunden dauern, bis das Bild lädt !
So nehmt es denn mit euch, mein duftiges Aquarell der schönen Maurizia, wie sie da so steht, in den Hügeln von Impruneta, in ihrem lichten Kleid aus Sonne und Herbst, – unvergeßlich.
Und eines hoffentlich fernen Tages, wenn die große Stimme mich ruft, um ihr zu folgen in die ewigen Gefilde der Unendlichkeit, wird es über mir hängen, das kleine zarte Bild von Maurizia, der ich begegnen durfte, im Augenblick ihrer ersten und schönsten Blüte.
Das war sie, die lange Geschichte von Burgi und mir, von Umberto, Emilia und ihrer Tochter Maurizia, – und einer weissagenden Zigeunerin, die unsere Geschicke lenkte, und von der niemand weiss, wer sie wirklich war, woher sie kam und wohin sie ging . . .
Ich danke euch allen, dass ihr diese wirklich erlebte Geschichte gelesen habt, – und meinen vielen Worte gefolgt seid.
Euer – schreibender Maler und Kleckser – Hugo von Kritzelflink