Liebe Freunde !
Es war ein heißer Julitag an dem ich gegen 8 Uhr morgens erwachte und es war ein einziges Gefühl, das mich in diesem Augenblick beherrschte : Müdigkeit.
Aber es war nicht die Müdigkeit des Weiter-Schlafen-Wollens, nein, es war eine ganz andere, tiefere Form der Müdigkeit, es war : Erschöpfung, pure Erschöpfung, – gepaart mit einer inneren Leere, die ich lange nicht erlebt hatte.
Halb wach, halb schlafend frug ich mich, was Männer halt so fragen, wenn sie nicht mehr weiter wissen : „Was jetzt ?“
Weiterschlafen, im wahrsten Sinne des Wortes „Augen zu und durch“ ? Oder Aufstehen und einfach das tun, was man am besten kann ? Nicht denken, einfach tun.
Was tut ein Bäcker, wenn er nicht mehr kann ? Es steht auf, geht in die Backstube und knetet seinen Teig. Einfach kneten, kneten, kneten, ohne zu denken, die Hände arbeiten von alleine, wie in Trance läuft alles ab, der Teig, das Mehl, das Kneten.
Und irgendwann wacht man auf, die Gesellen kommen, der Azubi, die Frau bringt ein Frühstück. Alles wortlos, 4 Uhr früh, da ist ein Bäcker nicht gesprächig.
Auch ein müder Maler um 8 Uhr früh ist nicht gesprächig, – nie.
Mürrisch schleppt man sich ins Café um die Ecke, wo man nicht zu bestellen braucht. Die Wirtin weiß Bescheid. Bescheid über 2 Semmeln, ein weiches Ei, eine Portion Butter, ein Schüsserl Marillenmarmelade und viel Kaffee, – nach dem Orangensaft.
Man spricht nicht, man liest keine Zeitung, man denkt auch nicht wirklich.
Das Einzige, was man tut : man reflektiert !
Nun ist es endlich fertig, dieses große, wichtige Bild, an dem man 3 Wochen geschuftet hat, Tag und Nacht, verbissen wie ein Karatekämpfer, der auf seinen todbringenden Gegner trifft. Und es gibt nur EIN Motto : Du oder ich . . .
Und ja, ich habe gewonnen, es ging um mich und das Bild. Ich mußte es schaffen, es mußte ein Meisterwerk werden, unbedingt, selbst auf das Risiko hin, daran zu zerbrechen. Ich ging bis an meine Grenzen, – und etwas darüber hinaus. Darum diese Müdigkeit, die totale Erschöpfung.
Ein Titel für das Bild verfestigte sich in meinen Gedanken, ein Titel, wie ihn nur ein alter, weiser Maler erfinden kann : „Die Stille im Herzen des Siegers“.
Damit sei alles gesagt. Denn ich war schon sehr, sehr früh ziemlich alt.
Ein ausgiebiges Frühstück belebt die Geister und bringt Dich zur Erde zurück.
Was also tun ? Ich beschloß Urlaub zu machen : 1 Woche Urlaub hab ich mir redlich verdient, – JAWOLL – hab ich mir verdient, und dieser Urlaub beginnt, genau : JETZT !
Mit dem Taxi zu meinem Freund RUDI, mit seiner 50-Mitarbeiter-Detektei, um mir eines seiner Autos auszuborgen. Beim Entree ins Büro, keine Empfangsdame da. „Rudi, wo ist Lady vom Empfang ?“ – „Gekündigt, von einer Sekunde auf die Andere, schwanger, weiß nicht von wem. Werd mir eine Neue suchen !“
Rudi borgt mir einen MAZDA-Automatik, – ich steig ein und ab die Post. Ich will auf’s Land. Irgendwo auf eine Anhöhe, die Weite genießen, den Ausblick, den Blick in die Ferne. Dabei nichts denken, nur schauen, den Horizont betrachten, den Punkt suchen, diesen Einen, zwischen Himmel und Erde, wo man nicht weiß, wohin er gehört ? Schon zum Himmel oder noch zur Erde. Es geht immer um diesen einen Punkt, wo alles diffus wird, alles verschwimmt und man bemerkt : Ich steh exakt auf der Erdoberfläche, auf der Kruste dieses Planeten, in dem es brodelt, innen, wie auf der Sonne außen. Alles sehr geheimnisvoll. Ein Mysterium, wie eigentlich alles, – wenn man es genau betrachtet.
Schnell noch mal zu Hause vorbeigeschaut, einen Aquarellblock eingepackt, einen neuen Malkasten, Buntstifte, farbige Kreiden, – und einen Fixierspray. Man weiß ja nie, – vielleicht gelingt ja was.
Dann raus aus der Stadt, wo ist der nächste schöne Berg ? Es ist eine Gnade sich schnell und richtig entscheiden zu können. Weiß fast keiner, – aber es ist DER Weg zum Erfolg, kurz, scharf nachdenken – und los geht’s.
Also rauf auf den Berg, rauf auf die Wand : die „hohe Wand“.
Oben angekommen, Auto geparkt und weg von den Menschen, weg, weg, weg. Ab in die Wildnis. Vielleicht sollte ich elender Atelier-Maler es wirklich mal mit Plein-Air-Malerei versuchen, in die Natur pilgern, mich auf einen Stein setzen und einen Baum malen : Eine Blutbuche, wegen des Namens und wegen der Farbe ! Könnte gut werden : rote Buche, grüne Wiese, goldgelbes Korn unter einem strahlend-blauen Himmel ! Könnte ein HIT werden, – die Leute lieben das ! Werd ich wohl machen . . . irgendwann.
Also weg von den Menschen, hinein ins Gebüsch, weiter zu den weiten Feldern oberhalb der steilen Wand. HUUUUHhhh ! Ganz schön gruselig dieser Abgrund, wenn man runterschaut und nicht schwindelfrei ist. Lieber etwas Abstand halten. Ich bin zwar müde, – aber nicht lebensmüde !
Weiter, weiter, immer weiter. Über Wiesen, Felder und Auen, leuchtendes Ährengold, möchte so gern ruhn und schauen, aber . . . Ja, in solchen Augenblicken fallen sie einem ein, die Lieder der Kindheit, wie „Hoch auf dem gelben Wagen“.
Ja, und es gibt sie wirklich, goldene Getreidefelder, grüne Wiesen und knorrige Bäume. Schön anzusehen, richtig NATUR, kein stickiges Atelier in Wien mit 35° unterm Dach. Heiß, auch heute, auf der „hohen Wand“, 28° und echt frische Luft ! Kann man an einem Sauerstock-Schock auch sterben ? Ich hoffe nicht . . .
Und dann sah ich sie, alle beide : dieses wirklich sehr, sehr gelbe Kornfeld, an diesem Juli-Sommertag, und mittendrin dieses etwa 18-jährige Mädchen in ihrem Jeans-Minirock mit ihrem weißen Höschen und ihren roten Turnschuhen.
Und das Schreckliche daran : Sie weinte bitterlich.
Ich ging auf sie zu und erkannte sofort die Situation : Ein todtrauriges Mädchen sollte nicht in der Nähe eines tödlichen Abgrunds sitzen !
Um die Lage zu erhellen und zu entspannen, sprach ich sie an : „Ach, mein trauriges Fräulein, so einsam und alleine : Darf ich Ihnen einen Witz erzählen ?“
Sie nickte stumm und hörte auf zu schluchzen : „Wissen Sie, wie die heilige Maria mit dem Nachnamen hieß ?“ – Sie schüttelte den Kopf. „Bitterlich, Maria Bitterlich, steht in der Bibel : Da weinte Maria Bitterlich !“ – Sie lachte gequält.
Ja manchmal tun besonders flache Witze ihre Wirkung. Aber empathisch wie ich manchmal sein kann, fügte ich hinzu : „Sag, Mädel, wo drückt denn der Schuh ? Warum so traurig ? Du wirst das doch nicht wirklich wollen ?“ – „Doch“, sagte sie, „ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich mach heut Schluß, mir reicht’s endgültig ! Ich werde jetzt springen !“ – „Moment, Moment, alles hat seine Zeit : Das Leben, das Sterben, – und das Wiedergeboren-Werden ! Willst Du wirklich als Regenwurm wiedergeboren werden ? Alle Selbstmörder müssen noch einmal zurück auf die Erde, – und zwar als Regenwurm ! Weißt Du das nicht ?“ – „Nein“, hauchte sie, „das wußte ich nicht . . .“ – „Na, siehst Du, wieder was gelernt, jetzt bist Du gescheiter.“
Ich setzte mich ihr gegenüber : „Und außerdem muß ich Dich zu Deinem Abschied noch malen ! Du bist SO SCHÖN, dass die Welt sehen muß, was mit Dir verloren ging !“ Ich schlug meinen Aquarellblock auf, griff zu meinen Kreiden und begann Birgit, so hieß sie nämlich, in Pastell zu skizzieren.
Langsam beruhigte sie sich, sah mir zu, wie auf dem eierschalenen Aquarellpapier ihre Gestalt Form annahm. Auch ihre Lebensgeister schienen wieder zu erwachen, – und als ich ihr nach 20 min das signierte und mit Spray fixierte Blatt überreichte, weinte sie wieder, aber diesmal nicht vor Schmerz, sondern vor Freude über das wahrlich gelungene Werk. Vom „sich Umbringen“ war keine Rede mehr . . .
„Ab ins Restaurant“, befahl ich, und wie ein braves Hunderl trottete sie neben mir her, schaute auf die Pastell-Zeichnung, auf mich und auf den Boden. „Schau in den Himmel, Mädel, – nicht auf den Boden, da liegt man noch früh genug darunter ! Da oben ist der Himmel, die Sonne, der Mond, die Sterne, das große Geheimnis des Kosmos, durch den wir fliegen, bis ans Ende unserer Tage. Aber das Ende aller Tage ist für DICH noch sicher NICHT gekommen, – drum essen wir erst mal was !“ Sie nickte, und die bösen Gedanken schienen wie von Zauberhand verschwunden zu sein.
Im Gasthaus erzählte sie dann ihre Geschichte, vom Mobbing eines Kurzzeit-Geliebten, der sie beim Anziehen fotografiert hatte, und das Foto ins Netz stellte, als sie ihn verließ. „Wir werden Dich rächen“, versprach ich, und erzählte ihr von meinem berühmten Detektiv-Freund, der den amerikanischen Botschafter in Wien bewachte, von seinen lebensgefährlichen Einsätzen, und von der Ehrenurkunde des Innenministers, die er bekommen hatte, weil er ein Massaker verhindert hatte, das viele Menschenleben gekostet hätte, wenn er den Attentäter nicht eliminiert hätte.
Birgit war beeindruckt. „Wir werden Dich rächen ! Das wird Deinem EX noch leid tun, was er Dir angetan hat ! Wir machen ihn FERTIG ! Dann wird ER sich von der hohen Wand stürzen wollen ! Besser ER als DU ! Glaub mir !“
Inzwischen hatte sie wieder Mut geschöpft und die Hoffnung auf ausgleichende Gerechtigkeit, beflügelte ihre Seele.
„Was machst Du eigentlich, Birgit ? Hast Du einen Job ? Studierst Du, oder gehst Du noch zur Schule ?“ – „Ich hab gerade die Matura bestanden, und weiß noch nicht, was ich machen soll.“ – „Birgit, ich hab einen JOB für Dich ! Willst Du nicht in Rudis Detektei arbeiten ? Der sucht gerade eine hübsche Lady für seinen Empfang !“ – „Echt jetzt ? Das wär ja sensationell ! Könnte ich da wirklich anfangen ?“ – „Aber klar doch, aber es geht schon morgen um 9 Uhr los, – ready?“ Sie war sprachlos.
Wir fuhren nach Wien zu RUDI, er war begeistert von ihr und engagierte sie vom Fleck weg, – nachdem ich ihm unsere Begegnung kurz geschildert hatte.
Birgit arbeitete über ein Jahr bei Rudi, begann dann Jura zu studieren, und ging dann nach dem Studium zur Polizei, wo sie noch heute einen wichtigen Job in der Verwaltung hat.
Und ich, als guter Pfadfinder hatte wieder einmal, eher unfreiwillig, mein Tagessoll erfüllt, denn mein Motto lautet, heute so wie morgen und übermorgen : „Jeden Tag eine gute Tat !“
In diesem Sinne, liebe Freunde, übergebe ich euch heute das Bild „Mädchen im Kornfeld“ als Erinnerung an diese bewegende Geschichte, die mir tatsächlich widerfuhr, und von der ich glaube, dass es richtig ist, sie nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen.
Euer Kleckser – Hugo von Kritzelflink