„Like a Virgin“ – Aquarell und Zeichnung von Hugo Heikenwaelder
Aquarell von Hugo Heikenwälder
Als Ende Sommer des Jahres 1984 der Song „Like a Virgin“ von MADONNA wie ein Sturm äußerster Sinnlichkeit über den Planeten fegte und sich dieser Welt-Hit gerade in allen Gehirnen jugendlicher POP-Fans festsetzte, saß ich im Alter von 35 in einem typischen Wiener Kaffeehaus in Wien, im „Café Ritter“ in der Mariahilferstraße, hörte diesen neuesten Ohrwurm, der gerade im Radio lief, und dann, – dann erblickte ich sie : Sie saß an einem der Tische, gleich in meiner Nähe, bunt gekleidet und mit einem derart aufregenden Lolita-Touch in ihren blauen, fragenden Augen, dass ich tatsächlich für einen Augenblick die Fassung verlor.
Ich erzitterte – vor soviel Schönheit, Unschuld und Grazie.
Ich habe mich mein ganzes Leben zu jenen ephimeren weiblichen Wesen hingezogen gefühlt, die sich gerade in der Phase des Erblühens befinden, einer oft nur sehr kurzen Zeitspanne von wenigen Monaten, meist so zwischen dem 14. und 15. Lebensjahr, wo sich der Übergang vom Mädchen zur Frau abspielt, geprägt von inneren Wirrungen, Verunsicherung und äußerlichen Veränderungen, die die Blicke der Männer in ihrem Urinstinkt für das Erotische plötzlich auf sich ziehen, und etwas in ihnen auslöst, das man auch eine spezielle Form des Wahnsinns nennen könnte.
Grafik von Hugo Heikenwälder
Natürlich gehören zu solchen raren Momenten der Faszination immer zwei :
Einmal das auslösende Element des erwachenden Mädchens in all seiner Sinnlichkeit, und andererseits der Blick des einsamen Jägers, des erfahrenen Verführers, der nicht weiß, was kommen wird, aber ahnt, dass dieses neue Ziel, das gerade sein Sichtfeld gekreuzt hat, zu verfolgen sich lohnen könnte.
Viele Damen, oft schon 30 oder älter, haben absolut keine Ahnung von der Psyche eines vielschichtigen Mannes. In der Schlichtheit ihrer küchenpsychologischen Gedankenwelt lautet der Hauptsatz ihres angeblichen Wissens über das andere Geschlecht meist : „Männer wollen Sex“.
Natürlich gibt es jede Menge Gefühls-Proleten, die sich mit ihrem Macho-Gehabe und ihrer peinlichen „Rein-Raus“-Körperlichkeit begnügen, aber für einen reinen Ästheten wie mich, ist und war das niemals eine Option.
Mir, und vielen anderen Humbert-Humberts, (dem männlichen Hauptdarsteller in Nabokovs „Lolita“), geht es in erster Linie um etwas ganz Anderes. Ich nenne es : „Das erotische Knistern“.
Er, der Mann, tut das, was alle Männer immer tun : Er sendet einen Blick.
Und manchmal, in jenen seltenen Augenblicken des Göttlichen, geschieht es, dass dieser Blick aufgefangen wird, von einer erwachenden, weiblichen Seele, die das Begehren dieses Blickes wahrnimmt, erkennt, und das ihr Herz höher schlagen läßt über die plötzliche Erkenntnis des ganz persönlichen Wahrgenommen-Werdens, des Im-Mittelpunkt-Stehens einer oft mächtigen, nicht weit entfernten Männlichkeit.
Ja, ich habe solche Situationen mehrmals erlebt in meinem Leben. Als junger Lehrer in einem schweizer Mädchen-Pensionat, genauso wie an nächtlichen Lagerfeuern am Ufer des Bodensees, wo junge schwedische Urlauberinnen nicht nach Hause in ihre Heimat fahren wollten, ohne nicht vorher von irgendeinem jungen Schlendrian geküßt worden zu sein.
Und einer dieser magischen Momente war genau jetzt.
Im Hintergrund des Cafés lief immer noch oder schon wieder MADONNAS „Like a Virgin – Touched for the very first time!“, – und der Beat des Songs ist auch heute noch derart pulsierend, dass es nahezu unmöglich ist, sich der hypnotischen Wirkung dieses Soundtracks zu entziehen.
Kaum einer kennt den Text dieses Liedes wirklich, kaum einer oder eine nehmen diese banalen, aber in Wirklichkeit elementaren Zeilen in ihrer ganzen Bedeutung wahr, wenn MADONNA ihre erste Begegnung mit ihrem Lover besingt :
But you made me feel,
Yeah, you made me feel
Shiny and new !“
Und ja, Sie ahnen es, es kam, wie es kommen mußte.
Sie saß da, Kristina, mit ihren 15 Jahren, ganz alleine, an ihrem gußeisernen Tischchen mit der weiß-grauen Marmorplatte, in ihrer bunten Kostümierung, und war tief in eine kleine Zeichnung vertieft, der sie ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte. Als sie kurz aufschaute, traf mein Blick den ihren, und wieder einmal geschah das Wunder der Wahrnehmung, das blitzartige Eintauchen einer jungen, hungrigen Seele in den dunklen Blick eines wilden, wissenden Raubtiers, das seine Chance erkennt, sich ästhetisch an dieser unberührten Unschuld zu laben.
Als professioneller und erfolgreicher Maler war es mir ein Leichtes, mich ihr zu nähern. Ich setzte mich einfach zu ihr, mit den Worten : „Also, lass mal sehen, was Du da so kritzelst, – ich bin Kunstmaler und versteh wirklich etwas von der Sache, und wenn Du wissen willst, wie man es RICHTIG macht, – also so, dass man den Blick von Deiner Zeichnung nicht mehr abwenden kann, dann hör mir zu, ich erklär’s Dir, – und danach wirst Du eine Andere sein !“
Aquarell + Zeichnung von Hugo Heikenwälder
Ja natürlich hat es funktioniert, – und sie war danach auch tatsächlich eine Andere, nicht alleine durch mich und meine Führung, sondern auch durch ihr unübersehbares Talent, das aber zu diesem Zeitpunkt noch eher diffus und wenig zielgerichtet war.
Kristina, die kleine Künstlerin, hatte sich für die Modeschule „Herbststrasse“ in Wien angemeldet, und sollte zur Aufnahmeprüfung ein paar Mode-Zeichnungen mitbringen, die ihr Talent für diese umkämpfte Branche belegen sollte.
Mit 35 Jahren, also 20 Jahre älter als meine umwerfende nordische Lolita, mit ihren rot-blonden Haaren, war ich zwar noch kein alter Hase, aber 10 Jahre Erfahrung im Kunst-Biz hatten mir genügend Know-How eingebracht, um gleich einmal ein paar signifikante Zeichen zu setzen.
Junge 15-jährige Mädchen haben naturgemäß wenig Ahnung von wirklichen Dingen, wenn nicht ihre Familie mit Fachwissen dahintersteht. Kristinas Familie bestand aus Musikern und Schauspielern, und ihre beiden älteren Schwestern erlebten 1985, im darauffolgenden Jahr also, ihren nationalen und auch internationalen Durchbruch.
So, wie die Mädels heute unbedingt „Influencerin“ werden wollen, und wie die Boys in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhundert „IMM“-süchtig waren („Irgendwas mit Medien“), so träumte Kristina von „Irgendwas mit Mode“, nicht wissend, dass sie eines Tages eine nicht unbekannte Kostüm-Bildnerin werden sollte, deren modische Kreationen viele mitteleuropäische Bühnen bevölkern sollten.
Gleich um die Ecke, im 7.Bezirk in Wien, gab es in der Schottenfeldgasse das Künstlerbedarf-Fachgeschäft „Kummer“. Ich schleppte meinen neuen Liebling gleich dorthin und ihre staunenden Augen konnten sich an all den Farben, Tuben, Pinseln und Stiften nicht sattsehen.
Als erstes kaufte ich ihr einen ordentlichen Aquarellpapier-Zeichenblock in der Größe A3, denn auf diesem dünnen A4-Schreibmaschinen-Papier war wirkliches Malen oder Zeichnen ohnehin unmöglich. Statt der Aquarell-Farben kaufte ich ihr gleich 6 Flaschen von den wirklich teuren farbigen Tuschen (blau – gelb – rot – grün – braun und schwarz), die eine enorme Leuchtkraft haben, bedeutend satter, als alles, was die Aquarell-Welt so zu bieten hat. Dazu gab’s dann noch die richtigen Schälchen und feinen Rotmarder-Pinsel zum Abmischen der Farben, und einen exklusiven Kasten feinster Farbkreiden von Faber-Castell, denn ohne diese Grundausrüstung ist es unmöglich ein ernstzunehmendes malerisches oder zeichnerisches Ergebnis zu erzielen.
Das Ganze hat natürlich ein Vermögen gekostet, aber was tut man nicht alles, um in die strahlenden Augen einer jungen nordischen Nymphe zu blicken, die einem nicht nur nachts den Atem raubt. Und im Verhältnis zur Inspiration, die mir diese unwiderstehliche und betörende Muse schenkte, war das Geld, das ich für sie ausgab, geradezu ein Geschenk. Allein 1 Bild, das ich später von Kristina malte, brachte mir damals sage-und-schreibe 54.000 Schillinge ein, was zu dieser Zeit ein Vermögen war.
An Schätzen reich beladen schickte ich sie nach Hause, mit dem Auftrag mich morgen in meinem Atelier in der Zieglergasse zu besuchen, wo ich ihr einen Crash-Kurs in Mode-Design versprach, und ihr auch zusagte bei der Mode-Mappe für die „Herbststrasse“ behilflich zu sein.
Pünktlich am nächsten Tag kam Kristina in mein Atelier und wir machten uns sogleich an die Arbeit. Eine der Damen hatte ihr bei der Anmeldung für die Modeschule geflüstert, sie sollte vielleicht ein Kostüm-Plakat für den „Wiener Opernball“ gestalten, etwas Dekoratives, das, wie man so schön sagt „etwas hermacht“.
Zeichnung und Plakat von Hugo und Kristina
Bei diesem Thema war ich natürlich in meinem Element. Ich lehrte sie, wie man ein Bild konzipiert, wie man die Stifte führt und optische Akzente setzt. Ihr Sinn für dekorative und originelle Details war erstaunlich, sowie auch ihr Gespür für die menschlichen Formen und die Valeurs der Farben. Auffällig und herausragend war auch ihre überdurchschnittliche Konzentrationsfähigkeit, die man nicht nur beim Schach oder einem Tennismatch braucht, sondern auch in der Kunst, um eine bildliche Darstellung so ins Optimale zu erhöhen, sodass sich eine ursprünglich kitschige Bild-Idee dann doch noch in ein akzeptables Kunstwerk verwandelt !
Denn ich bin der böse Onkel, der die Dinge nur ein einziges Mal erklärt, – und wer nicht aufpasst, der bleibt leider doof.
15 Jahre nahezu ununterbrochener Damen-Jagd, hatten einem erfahrenen Spurenleser, wie ich damals einer war, den elementarsten Satz für einen Erfolg tief in sein Hirn und die dazugehörige Seele eingegraben : „Das Wichtigste ist das Timing !“
Also in schnöderen Worten ausgedrückt : „Wann lege ich der Dame die Hand aufs Knie ?“ Jeder, der schon Löwen, Wölfe oder Geparden bei ihrer Jagd beobachtet hat, der weiß : „Ein Angriff kann auch schief gehen, die Beute entkommen, der Hunger ungestillt und der Magen leer bleiben.“ – Und dennoch kann der Misserfolg auch Freude machen : Einerseits, weil man von der Natur die Grenzen aufgezeigt bekommt und nicht seinem eigenen Größenwahn erliegt, andererseits auch, weil man seine Kraft und seine Muskeln bei diesem Sprint erlebt und dabei festgestellt hat : „Läuft ! Alles im grünen Bereich !“
Tja, und dann kommt das Schlimmste für einen Mann, der im tiefsten Grunde seines Herzens nicht nur ein Mensch, ein Humanist und Gentleman ist, sondern auch ein echter Moralist : „Was ist höher einzuschätzen, die Lust und selbstsüchtige Befriedigung meiner sinnlichen Begierden, – oder die verletzliche Unschuld einer Dir vertrauenden Jungfrau, die es verdient hat, am Anfang ihrer Liebes-Karriere von ganzem Herzen und wahrhaftig geliebt zu werden, – einer Liebe, zu der ich in diesem Augenblick nicht fähig war.“
Also beließ ich es, um diese Geschichte endlich zu einem Ende zu bringen, an einem glühenden Herzen, einem zarten Abschiedskuss nach vielen seelisch-intimen Monaten, 3 fantastischen Gemälden, die ich von ihr malen durfte, und einem reinen, etwas schwermütigen Gewissen, über das ich heute sehr, sehr glücklich bin, aber über das ich damals doch mehr als nur eine Träne vergossen habe.
Selbstverständlich hat sie mit ihren, unseren Zeichnungen die Aufnahmeprüfung formidabel bestanden, und ist dann, wie erwartet, ihren erstaunlichen Weg gegangen, der bis heute andauert.
Verzicht ist eine schöne Sache, wenn man ihn gelegentlich ausübt, aber als Lebenskonzept als solches natürlich nicht geeignet. Und letztendlich dient er vorallem einer Sache : Dem eigenen Irrglauben, – ich bin und war manchmal auch ein GUTER Mensch !
Im Herbst meines Lebens bleibt mir zumindest der Trost : Gut, dass ich manche Dinge NICHT getan habe . . . obwohl ich nah dran war sie zu tun . . . !
Danke, oh Lord, für mein Zögern und Innehalten im richtigen Augenblick, danke MADONNA für „True Blue“ und „Like a Virgin“ und viele andere Hits, die aus meinem Leben einen endlosen Tanz gemacht haben – und ein Danke natürlich auch an meine liebe Ehefrau, die mich immer noch aushält und mit meinen malerischen und literarischen Geständnissen leben muss ! Amen.