Hommage an „Redhead“ – (oder „Erinnerung an „Marike“) – Zeichnung von Hugo Heikenwaelder
Meine liebe Freundin !
Wie ich Dir ja bereits erzählte, war meine Entscheidung „Künstler“ zu werden, schon sehr früh gefallen. Ich muss 15 oder 16 Jahre alt gewesen sein, als ich unter dem Eindruck allgegenwärtiger Kunstwerke mir plötzlich nichts Anderes mehr vorstellen konnte, als mein Leben ebenfalls und ausschließlich der Kunst zu widmen . Schon früh war mir aufgefallen, dass ich wohl eine Mehrfach-Begabung war, denn ich war vorallem von 3 Formen des künstlerischen Wirkens angezogen : Mein erstes und frühstes Schaffen bezog sich, wie wohl bei allen kleinen Kindern, auf das Zeichnen. Selbstverständlich versorgten mich meine fürsorglichen Eltern schon im Vorschulalter mit Buntstiften, Bleistiften und jeder Menge Papier, sodass meinem unstillbaren Schaffensdrang schon von Anfang an nichts im Wege stand. Meine Eltern waren in Sachen Kunst und Kultur sehr fortschrittlich, – mein Vater, ein exzellenter Pianist und Zeichner, und meine Mutter, die in zahllosen Gedichten ihren musischen Ausdruck fand, förderten meine unübersehbaren künstlerischen Neigungen mit äußerstem Wohlgefallen, und ihre übertriebenen Belobigungen, für auch nur die geringsten Schöpfungen von meiner Hand, spornten mich zu immer neuen altersgemäßen Hochleistungen an. Es gab keine Zeit in meinem Leben, in der ich nicht gezeichnet, gemalt, oder über die bildende Kunst nachgedacht, mich informiert, oder Ausstellungen und Museen besucht hätte.
Mit 14 Jahren erlebte ich dann den Beatles-Boom und diesen unfassbaren Hype in der Pop-Musik, der all meine Sinne erfasste, und mich genauso in seinen Bann zog, wie Millionen anderer Jugendlicher auch. Mein Vater, in seiner bedingungslosen Liebe zu mir und unfähig sich meinen dringenden Forderungen zu widersetzen, kaufte mir mit 16 Jahren mein erstes Schlagzeug, – und ich wundere mich noch heute, wie meine feinsinnige und sensible Mutter mein ewiges Getrommel ertragen konnte, das nicht nur unser ganzes Haus in einen permanenten Lärmzustand versetzte, sondern auch bis auf die Strasse und auch in allen Nachbarhäusern zu hören war. Überzeugt von meiner musikalischen Genialität, war ich mir sicher, bald mit einer eigenen Band die Musikwelt zu erobern. Nie sprach ich davon, damit möglicherweise diverse Mädchenherzen ebenfalls zu erobern, – im Rückblick jedoch glaube ich, dass es ein Hauptmotiv all meiner künstlerischen Aktivitäten war, mir den Zugang zu den liebreizenden Wesen und ihren Herzen, bzw. ihren Brüsten zu erleichtern. Was sich dann später auch vielfach bestätigte.
Parallell zu meinen musikalischen Fortschritten entdeckte ich auch die Welt der großen Literatur. Ich war fasziniert von echten, sprachgewaltigen Schriftstellern, wie Thomas Hardy und seiner unvergleichlichen „Tess von d’Urbervilles“, die später dann von Roman Polanski kongenial verfilmt wurde. Die „Sturmhöhe“ von Emily Brontë las ich wohl in ein, zwei Nächten, genauso wie ich schon früher all 70 Karl-May-Bände wie im Rausch verschlungen hatte.
Nun saß ich also da, mit meinen 17/18 Jahren, mit meinem Problem der 3-fach- Begabung und wußte nicht, wofür ich mich entscheiden sollte : Bilder malen, die Welt mit Popsongs beglücken, oder lieber doch einsam und allein dicke Bücher schreiben.
Natürlich meinten Einige wohl zu Recht : „Deine Sorgen möcht ich haben.“ Selbstverständlich suhlte ich mich in meinem Luxus-Problem, aber, ob man es glaubt oder nicht, es ist TATSÄCHLICH ein Problem. Und zwar deshalb, weil jedes Talent seine Zeit der Entwicklung braucht und am Anfang jeder Karriere es nicht absehbar ist, WIE WEIT die Begabung reicht, – reicht es nur für eine Ausstellung in der örtlichen Sparkasse, oder schafft man nationale oder internationale Relevanz, spielt man seine Songs auf den umliegenden Feuerwehrfesten, oder erreicht man eine Platzierung in den Hitparaden, schreibt man im Selbstverlag für die Verwandtschaft, oder reissen sich die Verlage um jedes neue Buch. Wie so oft : Die Antwort gibt das Leben !
Egal, – außer Frage stand, das Zeitalter meiner Bohème war angebrochen, und auch wenn mein ältester Bruder meinte : „In Österreich gibt es 5.000 arbeitslose Maler !“, so stand für mich zweifelsfrei fest, dass sicher ICH derjenige sein würde, der es schaffen würde. Nicht einmal in den tiefsten Stunden der Verzweiflung, zweifelte ich an der Tragfähigkeit meiner Talente, und daran, mein Leben als Künstler gestalten zu können. Dass ich Recht behielt, gibt mir tatsächlich Berge, denn auf langen Wegen trifft man viele Ignoranten, Neider und völlig Unbedarfte, die nicht einmal verstehen, wovon man überhaupt spricht.
Doch der liebe Gott schenkte mir neben meinen diversen Begabungen auch die Fähigkeit, sehr schnell jene zu erkennen, die meine Werke verstanden und unterstützen, – und all die Anderen, die einen keinen Milimeter weiterbringen. Mit einem herzlichen, „Baba, und fall nicht . . .“ zog ich an ihnen vorbei, kämpfte leichtfüßig um meinen Weg, und fand den Erfolg, von dem ich dachte, dass er mir gebührte.
Die Demut kam erst viel später. Dass echtes Talent nur wenigen beschieden ist, begriff ich erst ab 40, – dass ich absolut nichts dafür kann, weiß ich heute, nicht aber mit 20, – und dass es meine herausragende Fähigkeit ist „Glück zu haben“, wage ich gar nicht auszusprechen. Aber, da ich ein exzellentes Gedächtnis habe, weiß ich heute, was und wieviel ich damals NICHT wußte, – und dass alles, was in meinem Leben gutgegangen ist, an ein Wunder grenzt, das ich kaum fassen kann, denn („bei meiner Seel!“), es hätte alles auch fürchterlich schief gehen können, was es aber nicht ist. Fazit : „Gott liebt mich. Danke.“
Um diese lange Intro nun endlich zu beenden, seien 3 Dinge gesagt :
Mein musikalisches Talent war und ist überschaubar. Für mehr als etwas Unterhaltungsmusik auf Ö3 und eine kurze Platzierung in der Ö3-Hitparade hat es nicht gereicht.
Die Schriftstellerei besteht aus vielen Buchstaben, Wörtern und Sätzen, doch das Schreiben entbehrt jener großen Sinnlichkeit, die mir die Malerei im Gewühle der Farben und gestalten der Formen bietet.
Meine Lust am Leben, mein unübersehbarer Hedonismus wies mir letztlich den Weg dorthin, wo auch meine größte Begabung liegt : Im Zeichnen und Malen.
Das Schicksal hat entschieden, – und ich habe es dankbar angenommen !
Doch eigentlich will ich hier mein neuestes Werk, meine neueste Zeichnung kommentieren :
Mit ca. 20 Jahren, am ersten Höhepunkt meines stetig wachsenden „Kunst-Hungers“, beschloss ich mit 2 Freunden in die Niederlande zu reisen, um mir die großen Malerwerke in Natura anzusehen : Rembrandts „Nachtwache“ im Rijksmuseum in Amsterdam, das „Van-Gogh-Museum“, das „Rembrandt-Haus“, und alles Dazugehörige, von dem ich damals noch gar nicht wußte, dass es überhaupt existiert.
Nach einem anstrengenden Museumstag, braucht man vorallem ein schickes Restaurant, um seinen geschundenen Körper wieder in Schwung zu bringen. Ein Taxi brachte uns in die Stadt, wir landeten in einem urigen Wirtshaus und labten uns an den lokalen Köstlichkeiten. Danach waren wir derart angegessen, dass wir beschlossen, einen Verdauungsspaziergang zu unternehmen und uns noch in irgendeiner Botega ein paar Drinks zu genehmigen.
Wir hatten keine Ahnung, wo wir waren : Fremde Sprache, fremde Stadt, namenlose Straßen, irgendwo in einem unbekannten Viertel. Also, wir 3 betreten die Straße, gehen um die nächste Ecke und befinden uns, oh Schreck, mitten im Rotlicht-Viertel von Amserdam.
Und ich schwöre, ich hatte soetwas noch nie im Leben gesehen : Schaufenster voller Frauen, die Dich durch die Glasscheiben anlächelten, kaum bekleidet, Dich hereinwinkten, – und auf der gegenüberliegenden Seite dutzende Prostituierte, die auf einen Freier warteten, oder an die Fenster anhaltender Autos traten. Ich war wie erschlagen. Es war unglaublich. Damals, in den 70er-Jahren, in der verschlafenen Kleinstadt in der ich lebte und geboren war, im zutiefst provinziellen Vorarlberg, hat es so etwas nicht gegeben, ja, nicht im enferntesten Gespräch hatte ich jemals von so etwas gehört. Und jetzt war ich plötzlich mittendrin. Und nachdem wir die Straße überquert hatten, um uns die Prostituierten im Vorübergehen etwas genauer anzusehen, stand sie plötzlich vor mir und sagte : „My name is Marike, – do you want an intercourse ?“
Mich traf fast der Schlag, – auf so etwas war ich nicht vorbereitet, was soll man darauf sagen ?
Ich hatte keine Ahnung von „käuflicher Liebe“, von diesem ganzen Milieu, von dieser Selbstverständlichkeit, wie diese junge Frau über solch intime Dinge sprach. Ich sah sie an wie eine seltene, exotisches Kreatur, stammelte ein paar unzusammenhängende Worte, und versuchte, mich von ihrem Anblick loszureissen. Diese Nachtstimmung, dieses seltsame Wesen, ihre ganze Erscheinung zogen mich magisch in einen Bann, der dem Erleben eines echten Rembrandt nahekam. Niemals werde ich die junge „Marike“ vergessen, so wie sie vor mir stand, mit ihren feuerroten, kurzen Haaren, Ihrer originellen, auffallend bunten Kleidung, ihrer ernst-fröhlichen Ausstrahlung, und ihrem gutturalen, kehligen Timbre in der Stimme, die mir eine unvergessliche Nacht versprach.
Meine Freunde weckten mich auf, aus meiner Trance, zogen mich weg und weiter, und meinten, da gäbe es noch Schönere. Kurz darauf landeten wir in einer üppig besuchten Bar, fanden nach einer Weile einen Platz am Tresen, und sinnierten gemeinsam über das eben Erlebte.
Heute, 50 Jahre später, entstand aus dieser vagen Erinnerung heraus, die Zeichnung „Redhead“, eine Hommage an „Marike“, meine erste, bewußte Wahrnehmung einer „Dirne“, die mich ansprach, um mich als ihren Freier zu verwöhnen. Nein, es ist nichts geworden aus dieser Liebesnacht, doch es blieb eine Erinnerung, der ich heute ein Gesicht verliehen habe, – und die ich euch nicht vorenthalten möchte.
In diesem Sinne, – meine liebe Freundin-, überlasse ich Dir meinen bild-gewordenen Blick auf diese flüchtige Begegnung, ein unscheinbares, aber unvergessliches Aufeinandertreffen zweier Geschöpfe, in einer lauen Sommernacht im fernen Amsterdeam, – vor langer, langer Zeit . . .
Dein Freund für immerdar, – Hugo, der Kritzler . . .